Das schwierigste, wenn man aus einer Sucht aussteigt, ist nicht die Enthaltsamkeit, wie ich finde oder die Abstinenz.
Das Schwierige, finde ich, ist das „Ding“ mit den Gefühlen.
Warum hat mir das niemand beigebracht?
Gut, meine Eltern wussten es auch nicht besser.
Ich lernte, besser mit meinen Gedanken umzugehen.
Ich wurde BEWUSSTER.
Heute würde ich sagen, dass ich in den Zeiten, wenn ich meiner Sucht nachging, in keinerlei Verbindung mit mir war. Wie ausgeknipst.
Das weiß ich deshalb so genau, weil ich den Unterschied erkennen kann, wenn ich heute in einer bewussten Verbindung zu mir bin.
Deshalb behaupte ich ja auch, dass ich nicht die Enthaltsamkeit an sich schlimm finde, sondern mein Unvermögen, anders mit meinen Gefühlen umzugehen, als sie mit meinem Suchtmittel zu versuchen zu betäuben.
Es geht ja selten um die Substanz an sich, es geht ja immer um die Wirkung des Suchtmittels in unserem Leben.
Und warum nehmen wir Suchtmittel, ob Stoffgebunden oder ungebunden? Weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass uns diese verflixten Gefühle dann nicht so nahe kommen. Gefühle können einem eine Scheiß-Angst machen!!
Es gibt eine Stelle in der Geschichte „Alice im Wunderland“, wo ein gruseliges Schattenmonster Angst verbreitet. Doch genauer hingeschaut konnte man erkennen, dass es nur ein kleiner Wicht war, der durch geschickte Lichtverhältnisse und windgebauschtem Vorhang riesig groß wirkte. Vielleicht ist das mit unseren Ängsten ja genauso? In unseren Gedanken sind wir das schon zig mal durchgegangen, jedes Mal wurde die Angst noch größer. Aber haben wir uns wirklich schon einmal herangetraut?
Ganz ehrlich? Meiner Meinung nach, wenn wir uns nach einem authentischen, tiefen, ehrlichen und erfüllten Leben sehnen, kommen wir nicht umhin, uns endlich mal mit unseren Gefühlen zu beschäftigen. Und nur da liegt die Lösung. Nicht weglaufen, sondern bleiben. Fühlen. Aushalten.
Meine Erfahrung: Es ist in meinen Vorstellungen und Angstgedanken alles viele schlimmer, als es letztendlich ist.
Gefühle kann man aushalten und fühlen, das schaffen anderen Menschen auch. Wir müssen es halt einfach mal zulassen und ein wenig üben.
Tatsache: Nach Kontakt mit den Gefühlen gibt es keinen Kater wie beim Alkohol. Es kann eine Klarheit und Offenheit erreicht werden, die mit Alkohol oder anderen Substanzen nie erlebt werden kann. Ja, es ist verwirrend. Es erscheint einfacher, müheloser, sich zu betäuben. Aber dann leben wir unser Potential nie voll, nie ganz.
Eure Kerstin