Suchtdruck – das ist für mich ein starkes Verlangen, eine Art Gedankenkarussell, das sich wie in einer Endlosschleife fortsetzt und sich mal in kleinen, mal in großen Kreisen um mein Suchtmittel bewegt.
Alkohol und Drogen habe ich lange Zeit dazu benutzt, um meinem Alltag, meiner Realität und meinen Gefühlen zu entfliehen. Vor allem dann, wenn sich mein Leben wieder untragbar schwer anfühlt. Alles egal, Hauptsache raus!
Natürlich weiß ich – vor mir selbst zu fliehen, möglich ist das nicht. Und so drehen sich meine Gedanken im Kreis. Mein ungeduldiges Verlangen zieht mich nach rechts in immer kleinere Kreise, an mein Suchtmittel heran. Mein Wunsch nach Abstinenz – groß geworden in letzter Zeit – zieht mich mit gesammelter Kraft nach links außen. Die Kreise werden immer größer, das Gedankenkarussell dreht sich.
Und mit jedem Gedanken „konsumiere ich – konsumiere ich nicht – konsumiere ich – konsumiere ich nicht“ werden die Kreise größer und wieder kleiner.
Neben dem psychischen Gedankenkarussell, das mich unkonzentriert werden lässt, mich ermüdet, überfordert und dafür sorgt, dass meine Stimmung auf einen Tiefpunkt sinkt, werde ich auch nervös und fange übermäßig an zu schwitzen.
Halt! Stopp, denke ich und versuche das Karussell anzuhalten und mich an einige Tipps zu erinnern, die mir bisher geholfen haben, meinen Suchtdruck zu mindern. Mir schießen einige Möglichkeiten durch den Kopf
1. Rufe doch eine Person an, der du vertraust. Die Telefonnummern der Leute aus deiner Selbsthilfegruppe, deines besten Freundes und der Bekannten aus der Therapie liegen in greifbarer Nähe.
2. Lenk dich ab! Gehe spazieren, drehe eine Runde mit dem Rennrad oder schnappe dir deine Fotokamera oder ein gutes Buch.
3. Trinken! Alkoholfrei! Fruchtsäfte, Tee`s oder auch Kaffee mit viel Zucker konnten in der Vergangenheit dein Bedürfnis nach Flüssigkeit stillen, haben deinen Magen gefüllt und den Suchtdruck gelindert.
4. Moment, welcher Tag ist heute? Oh, die Selbsthilfegruppe bei dir um die Ecke, in der du dich so wohlfühlst und die dich so freundlich und herzlich aufgenommen hat, trifft sich heute noch. Letzte Woche hast du dort doch die Zeit vergessen und wunderbare Gespräche mit Leuten geführt, die dich verstanden haben.
5. Versuche direkt morgen deinen Tag besser zu planen und zu strukturieren. Heute hast du dich nur so durchgewurstelt und hast die Tagesstruktur, die du dir in letzter Zeit zurechtgelegt hast und die dir guttut, verworfen.
6. Deine Nüchternheit hat oberste Priorität, alles andere kann warten. Vergiss das nicht!
7. Die anderen SoberGuides! Als du das letzte Mail Suchtdruck hattest und eine bzw. einen der SoberGuides kontaktiert hast, hat dir das sehr geholfen. Der Suchtdruck war nach dem Chatten und ein anderes Mal nach dem Telefonat wie verflogen.
8. Was hat dich denn getriggert? Ach-ja – versuche beim nächsten Mal toleranter zu sein, Gefühlsausbrüche zu vermeiden und denke daran, dass auch dein Gegenüber Recht haben könnte.
Ich greife zum Hörer und wähle eine Nummer, die ich mittlerweile auswendig weiß. Am anderen Ende begrüßt mich eine vertraute freundliche Stimme. Das Gedankenkarussell bleibt stehen und ich springe ab.
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Warum gibt es eigentlich abstinent lebende Süchtige, die zufrieden sind und kein Verlangen mehr nach dem Suchtmittel haben?
Unbestritten ist, das suchtkranke Menschen weiter Hilfe suchen sollten, solange es diesen Suchtdruck noch gibt und auch darüber hinaus. Eine Suchterkrankung ist kein Schnupfen, der kommt und wieder geht. Die Probleme, die ich mit aller Macht versucht habe zuzudecken, müssen bearbeitet werden. Auf Dauer ist eine Selbsthilfegruppe hierfür ein sehr guter Weg.
Ich freue mich auf eure Kommentare.
Viele Grüße, euer Andreas
Eine Antwort auf „Das Gedankenkarussell –
meine SoberTipps bei Suchtdruck“
Hallo Andreas,
Als Angehörige eines Suchtkranken habe ich Suchtdruck nicht selbst erlebt, aber als Mitglied einer Guttemplergemeinschaft kann ich den Schilderungen noch nicht so stabiler Mitglieder entnehmen, wie schwierig manche Situationen für sie sind, und manchmal kam es auch zu einem Rückfall.
Sehr hilfreich fand ich deine Ideen, die zeigen, was man tun kann, um nicht rückfällig zu werden.
Ganz ähnlich ist der „Notfallkoffer“, den ich bei den „“Frauen für ein suchtfreies Leben e. V.“, einer Selbsthilfegruppe für Frauen, kennengelernt habe.
Darin wird zusätzlich ein Innerer Stopp empfohlen, indem ich mir vor Augen führe, was ich schon erreicht habe, worauf ich stolz sein kann, aber auch, welche negativen Folgen ein Rückfall haben wird.
Weiterhin wird ein „Notfallpass“ mit Telefonnummern und Adressen von Leuten, die ich anrufen oder mit denen ich persönlich Kontakt aufnehmen kann, empfohlen, der an mehreren Orten aufbewahrt werden soll. im Notfall ist man mitunter so kopflos, dass man in dem Moment gar nicht daran denkt, mit wem man reden könnte. Daher sollte der „Notfallpass“ immer griffbereit sein.