Das Bild des Familienmobile`s verdeutlicht für mich, wie Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen.
Ausgangspunkt ist eine Familie, in der es eine*n Abhängigkeitserkrankte*n und viele Co-Abhängige Familienmitglieder gibt. Nach meiner Erfahrung, die ich bisher im Rahmen meiner Selbsthilfearbeit gemacht habe, ist die Konstellation aus einem abhängigkeitserkrankten Vater und den verbleibenden Familienmitgliedern als Co-Abhängige stärker ausgeprägt als bei einer abhängigkeitserkrankten Mutter. Als Co-Abhängige halten Frauen oftmals länger fest und übernehmen gleichzeitig mehr Verantwortung. So kann das Bild von einer heilen Familie nach außen meist länger aufrechterhalten werden. Die Familienmitglieder sind wie durch ein Band miteinander verbunden, aber auch abhängig von ihrer Umgebung. Ähnlich wie bei einem Mobile, reagieren sie mit- und aufeinander.
Ein Mensch, der aus seinem Gleichgewicht gebracht wird, versucht automatisch seine Balance wieder zu finden. Stehen beispielsweise zwei Menschen auf einem großen Trampolin und bewegt sich eine*r der beiden, versucht die/der andere diese auf ihn wirkende Bewegung auszugleichen, um nicht zu Falle zu kommen. Wenn diese Interaktion nicht nur unter zwei Menschen stattfindet, sondern unter Familienmitgliedern, wird es ungleich komplizierter.
Zurück zum Mobile – wenn sich in den Verknüpfungen und den familiären Verbandelungen des Familienmobile`s eine Person bewegt, kommen alle in Bewegung. Das ist in einer ungestörten Familie bereichernd. Jede Person trägt zum Gleichgewicht des Mobile`s bei und erfährt gleichzeitig, das Bewegung nichts schlechtes ist, sondern eher Entwicklung und Fortschritt bedeutet. So werden Zusammenhalt und Verbindungen untereinander gestärkt.
Im Gegensatz dazu, sind in Bewegungen in einem gestörten Familienmobile nicht harmonisch und folgen keiner Familienmelodie, da sie meist nur von einer Person, nämlich der abhängigkeitserkrankten Person ausgehen. Auch bei anderen psychischen Erkrankungen sieht das Familienmobile ähnlich aus. Die Bewegungen sind oft so stark, dass die erkrankte Person alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und im Mittelpunkt steht. Bei ihm oder ihr laufen die Fäden zusammen und das Wort „abhängig“ bekommt, bezogen auf das Mobile, noch einmal eine ganz andere bildliche Bedeutung. Wenn die Familienmitglieder nun alle auf dieses eine Familienmitglied fokussiert sind, ist eine gesunde Entwicklung bzw. Weiterentwicklung nur bedingt möglich.
Aufgrund der Herausforderungen und des Ungleichgewichtes in der Familie, die sich aus dem Alkoholismus ergeben, suchen Kinder aus suchtbelasteten Familien oftmals nach Bewältigungsstrategien, um sich anzupassen und das familiäre Gleichgewicht wieder herzustellen. Nicht selten nehmen Kinder aus suchtbelasteten Familien hierfür Rollenmuster ein. In der Literatur findet man hierzu unterschiedliche Modelle (z.B. Rollenmodell nach Martin Zobel). Oftmals werden in suchtbelasteten Familien, in denen der Vater suchterkrankt ist, bei der Mutter und den Kindern Scham- und Schuldgefühle aktiviert. Beispielsweise achten Kinder verstärkt darauf, dass sie keine Klassenkamerad*innen zu einer „ungünstigen Zeit“ mit nach Hause nehmen. Sie gehen dann lieber zu den Klassenkamerad*innen nach Hause. Außerdem herrscht oft die Befürchtung, selbst ausgegrenzt zu werden. Angehörige leiden oft stumm.
„Oft bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“.
Vielleicht schwingt dieses Bibelwort bei den Angehörigen in ihren Reaktionen mit. Vielleicht ist es auch das Pflichtbewusstsein, alles am Laufen halten zu müssen oder doch die übermäßige Scham versagt zu haben, was die Angehörigen nicht konstruktiv handeln lässt. Unumstritten ist jedoch, dass die Situation erst erkannt werden muss, um die Machteinflüsse, die von diesem Gebilde aus Gefühlen, Scham und Schuld ausgehen, abschneiden zu können. Damit bringen sie jedoch das Mobile zum Wanken, das Gefüge wird regelrecht zerrissen. Dies wirkt sich auch oftmals auf die konsumierende Person aus, die verunsichert versucht, die neue Situation einzuordnen. In dieser Situation stehen die Chancen gut, dass die suchterkrankte Person das bisherige Verhalten in Frage stellt und weitreichende Schritte einleitet und vollzieht. Unter den Beteiligten können nun vorsichtig neue Banden geknüpft werden, sodass ein neues Familienmobile entstehen kann.
Ich wünsche Allen, die noch in einem krankmachenden Mobile eingebunden sind, Mut die nötigen Überlegungen zuzulassen, um daraus richtige Schritte abzuleiten und umzusetzen. Seid achtsam und geht sorgsam mit euch um.
Liebe Grüße, euer Gerald
SoberGuide für:
Alkohol, Angehörige, Nikotin, Psychische Beeinträchtigung
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„Jeden Vorteil erkaufe ich mir mit mindestens einem Nachteil oder in jedem Nachteil steckt immer auch ein Vorteil.“
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